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Erste Dt.-Griechische Jugendbegegnung “Erinnern für heute, gemeinsam Zukunft gestalten” – JUZ Biebrich – Osterferien 2023 in Griechenland

Ehrenamtlich initiiert durch Bettina Krummeck (Wiesbadener Lerntherapeutin, zertifiziert für die Internationale Jugendarbeit durch das “Interkulturelles Netzwerk e.V.”) und Ralf Dreis (u.a. staatlich geprüfter Übersetzer für Neugriechisch-Deutsch), die in Wiesbaden und zeitweise auf dem Pilion in Griechenland leben, konnte vom 30.03.23 bis 08.04.23 gemeinsam mit der Leiterin des JUZ Wiesbaden-Biebrich, Frau Gabi Reiter, erstmals eine Dt.-Griechische Jugendbegegnung realisiert werden. Der Kontakt zu Herrn Errikos “Enirko” Karanikolas  von der griechischen Partnerorganisation ARPEGGIO in Thessaloniki entstand über die gemeinsame Teilnahme an Fachkräftetreffen des “Deutsch-Griechischen Jugendwerkes”. Medienpädagogisch unterstützt wurde die Begegnung vor Ort in Griechenland durch Frau Chryssa Tzelepi von “anemiCinema – audiovisual productions – Thessaloniki” Teilnehmende waren Jugendliche und junge Erwachsene aus Thessaloniki und Wiesbaden. Gefördert wurde diese Begegnung – die sich intensiv mit der deutschen Besatzung in Griechenland und der griechisch jüdischen Geschichte auseinandergesetzt hat – über das EU ERASMUS+ Programm “Jugend sowie das “Deutsch-Griechische Jugendwerk”.

Die deutsch-griechische Gruppe, die heterogener nicht sein konnte, wurde schon nach kurzer Zeit von erstaunlicher Offenheit, Verständnis, Neugier auf Neues und gegenseitigem Respekt getragen.

Schon die Begegnung am ersten Abend in Thessaloniki zeigte, dass ein extrem bunter Haufen aufeinander traf. Umso faszinierender war, dass schon direkt nach dem Abendessen, Gruppen aus Wiesbaden und Thessaloniki gemeinsam loszogen und die Gastgebenden den Wiesbadener Teilnehmenden die aufregenden Plätze ihrer Stadt zeigten.

Nach der tief gehenden Auseinandersetzung mit der eigenen Identität am zweiten Tag und der Feststellung, welch große Bedeutung Erinnerungen dabei spielen können, wuchs die Gruppe, aufgrund ihrer Offenheit, schnell weiter zusammen.

Die gemeinsame Reise begann nicht umsonst in der nordgriechischen Metropole Thessaloniki, der lange Zeit als “Jerusalem des Balkans“ bekannten, multikulturellen Stadt mit großem türkischen, jüdischen und griechischen Bevölkerungsanteil, sowie Roma, slawischer und albanischer Minderheiten.
Die Teilnehmenden setzen sich intensiv mit der fast vollständigen Ermordung der jüdischen Bevölkerung zur Zeit der deutschen Nazi-Besatzung von 1941-1944 auseinander. Von den fast 55.000 Juden und Jüdinnen der Stadt, überlebten nur ungefähr 1900.

Dies geschah zum einen durch den Besuch des Museums im “Weißen Turm“, einem der Wahrzeichen der Stadt. Zum anderen durch den lebendigen Vortrag einer der führenden jüdischgriechischen Historikerinnen, Rena Molho, die nicht nur das Leid der jüdischen Bevölkerung und die Barbarei der deutschen Faschisten anschaulich darstellte, sondern auch darauf hinwies, dass es auf Seiten der christlich-griechischen Bevölkerung einige Kollaborateure, viele Uninteressierte und auch Antisemit*innen gab, die von der Deportation und Ermordung der jüdischen Bevölkerung profitiert haben. Auch wies sie darauf hin, dass Griechenland heute bei Umfragen das Land in Europa mit dem größten prozentualen Anteil an antisemitischen Vorurteilen ist.

Die Teilnehmenden selbst begaben sich in bilingualen Kleingruppen auf die Erforschung noch heute sichtbaren jüdischen Lebens. Dabei kamen sie in direkten Kontakt mit Einwohner*innen aus Thessaloniki und deren Wissen und Unwissen über die jüdische Geschichte ihrer Stadt.

„Diese Tage sind extrem spannend. Mir hat besonders gefallen, dass schon nach kurzer Zeit, während unserer Aktivitäten, die Grenzen der Sprachen nach und nach zurück gedrängt werden konnten, immer weniger wichtig wurden und unsere verschiedenen Ideen und Meinungen besser sichtbar wurden.“ (Angeliki)

Glücklicher und berauschender Abschluss der Tage in Thessaloniki war ein beeindruckendes Widerstandskonzert gegen die geplante Privatisierung der staatlichen Wasserversorgung. Berühmte Musiker*innen spielten auf dem zentralen “Aristotelous-Platz“ vor zehntausenden Menschen.

Weiter ging die Fahrt nach Volos, der siebtgrößten Stadt in Griechenland, die jedoch nur halb so viele Einwohner*innen wie Wiesbaden hat. Dort stand der Besuch der jüdischen Gemeinde Volos auf dem Programm und Zeitzeugen gaben einen Einblick in die jüdische Geschichte der Stadt und die Rettung eines Großteils der 900 Juden und Jüdinnen während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Dies gelang durch die einzigartige Zusammenarbeit des damaligen deutschen Konsuls in Volos, des orthodoxen Erzbischofs und des organisierten kommunistischen Widerstands, welche die jüdische Bevölkerung in den benachbarten Pilion-Dörfern in Sicherheit brachten. Was allen bewusst machte, dass es während der deutschen Besatzung nicht nur Leid und Grausamkeit gab, sondern auch Zusammenhalt, Zivilcourage und erfolgreichen Widerstand.

Auch in Volos konnten sich die Teilnehmenden selbst auf die Spuren von Traditionen, Mythen und Geschichten begeben um die Stadt zu erkunden. (Dekryptage)

„Fünf Tage liegen hinter uns und aus Zweifel und Neugier ist eine Gemeinschaft aus zuvor völlig fremden Menschen entstanden, die zusammen Geschichte neu erleben dürfen. Doch dabei bleibt es nicht. Wir haben die Chance, in eine neue Kultur einzutauchen und unseren Horizont zu erweitern. Bis jetzt stellt dieses
Abenteuer ein Wechselbad der Gefühle für uns dar. Mit großer Demut und Respekt begegnen wir neuen Menschen und Aufgaben und dennoch gibt uns die Reise die Möglichkeit uns selbst neu kennenzulernen.“ (Leon)

Auf dem Weg zur letzten Etappe, dem kleinen Fischerdorf Chorto auf dem Pilion, wurde eines der 89 anerkannten Märtyrer-Dörfer Griechenlands, Drakeia, besucht. Noch einmal wurden die unglaublichen Grausamkeiten der deutschen Nazi-Besatzer vor Augen geführt. Diese verfolgen und prägen die Menschen bis heute. Umso beeindruckender ist die Offenheit und Gastfreundlichkeit dieser Menschen gegenüber den deutschsprachigen Teilnehmenden.

Um all diese Informationen, Erkundungen und auch die Schwere der grausamen Vergangenheit zu verdauen, war der wunderschöne Ort Chorto auf dem Pilion genau richtig. In absoluter Ruhe und Abgeschiedenheit konnten die Eindrücke verarbeitet werden. Auch das Wetter war gnädig, so
dass fast alle Teilnehmenden ein frisches Bad im kühlen Meer nehmen konnten und die Sonne genossen.

Trotz des Themas war die Reise nicht nur von Schwere bestimmt, sondern auch von erfrischenden, lustigen Sprachanimationen, wie der ausgelassenen Ostereiersuche in Chorto, ausgiebigen Abenden, Gesprächen und einer krachenden Party. Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit die Vielfältigkeit Griechenlands kennenzulernen, wechselnde Landschaften, Natur, Architektur, Kultur und Traditionen und nicht zuletzt eine Vielzahl leckerer griechischer Speisen.

Die vielen Gedanken, der Wechsel von Schwere zu Hoffnung und die bestimmt noch längere Zeit erfordernde Verarbeitung hat alle sehr nachdenklich gemacht.
Kurz gefasst führte die Auseinandersetzung mit der deutschen Besatzung in Griechenland dazu, dass die Gruppe einstimmig der Meinung ist, dass sich die Barbarei des Faschismus niemals wiederholen darf und alle ihren Teil dazu beitragen sollten.

Text: Bettina Krummeck und Ralf Dreis

 

 

 

        

 

 

 

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